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Kompetenzen für eine digitale Welt

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An einer Weiterbildungsveranstaltung für Schulleitungsmitglieder an Gymnasien plane ich einen Input, der in der Konzeption der Veranstaltung wie folgt umrissen wurde:

Im Mittelpunkt steht die Frage, welche Kompetenzen Jugendliche im Gymnasium des beginnenden 21. Jahrhunderts erwerben können und sollen, um ihre Aufgabe in der Berufswelt sowie als mündiger Mitglieder der Gesellschaft wahrnehmen zu können.

In einem Input wird die Bedeutung der Digitalisierung für die Didaktik und das Lernen in Thesen nachgezeichnet. Zentral ist dabei auf Wunsch auch die Frage nach der Konzentration und der vertieften Auseinandersetzung mit Inhalten.

Im Folgenden bündle ich Vorüberlegungen und freue mich über Feedback und Kritik.

* * *

1. Das Gymnasium und die Kompetenzen

Der Auftrag der schweizerischen Gymnasien steht im Maturanerkennungsreglement von 1995. Dort steht:

  1. Ziel der Maturitätsschulen ist es, Schülerinnen und Schülern im Hinblick auf ein lebenslanges Lernen grundlegende Kenntnisse zu vermitteln sowie ihre geistige Offenheit und die Fähigkeit zum selbständigen Urteilen zu fördern.
  2. Die Schülerinnen und Schüler gelangen zu jener persönlichen Reife, die Voraussetzung für ein Hochschulstudium ist und die sie auf anspruchsvolle Aufgaben in der Gesellschaft vorbereitet.
  3. Maturandinnen und Maturanden sind fähig, sich den Zugang zu neuem Wissen zu erschliessen, ihre Neugier, ihre Vorstellungskraft und ihre Kommunikationsfähigkeit zu entfalten sowie allein und in Gruppen zu arbeiten. Sie sind nicht nur gewohnt, logisch zu denken und zu abstrahieren, sondern haben auch Übung im intuitiven, analogen und vernetzten Denken.

Diese Ziele und Vorgaben wurden beispielsweise im Kanton Aargau als kompetenzorientierte Modelle formuliert. Unter der Leitung von Peter Bonati wurden sechs Kompetenzbereiche identifiziert, an denen sich der gymnasiale Unterricht orientieren soll:

Der Kompetenzbegriff, den ich im Folgenden übernehme, ist für Bonati dem Begriff der Lernziele deshalb vorzuziehen, weil er »personalisierte Lernziele« meint (ebd., S. 30).

Versucht man, die Aufgabe des Gymnasiums auf einen Nenner zu bringen, dann geht es darum, dass Lernende darauf vorbereitet werden, sich in Wissensprozessen sozial zu verhalten. Also etwa zu arbeiten, gesellschaftliche Systeme zu pflegen, Kritik zu üben, Politik zu betreiben…

2. Die Folgen der Digitalisierung

Die Wissensarbeit des Journalismus wurde durch die Digitalisierung sehr schnell und direkt betroffen – weshalb an seinem Beispiel einige Folgen klar aufgezeigt werden können (vgl. dazu den ersten Teil von »online first«):

  1. Aufweichung der Gate-Keeper-Rolle
    Redaktionen von Massenmedien sind weiterhin für die Auswahl der Inhalte, die ein breites Publikum wahrnehmen kann, verantwortlich. Aber ihre Selektionskraft hat nachgelassen: Digitale Kanäle können andere Akzente setzen und Themen aufkommen lassen, welche die etablierten Medien dann übernehmen.
  2. Verlust der Informationsmonopols
    Findet ein Ereignis statt, dann können Interessierte heute aus einer Palette von Kanälen auswählen. Augenzeugen berichten auf Twitter, Zeitungen und Fernsehstationen aus verschiedenen Länder online. Es ergibt sich also auch eine
  3. Internationalisierung
    zumal viele Netzwerke länderübergreifend gebildet werden.
  4. Auflösung von Kontexten
    Informationen sind nicht mehr in ganze Zeitschriften oder Sendungen eingebettet, sondern werden selektiv verbreitet: Teils als Zitate oder als einzelne Artikel. Jeder User im Web 2.0 hat einen eigenen Kontext.
  5. Kürzere Aufmerksamkeitsspannen
    Untersuchungen zeigen, dass journalistische Texte zunehmend kürzer werden und von längeren oft nur die ersten Abschnitte gelesen werden.
  6. Experimente
    Aufgrund der veränderten wirtschaftlichen Situation – Werbetreibende zahlen im Vergleich mit gedruckten Medien online deutlich weniger für Werbung – sind Journalistinnen und Journalisten heute gefordert, neue Formen wie »Listicles« zu erproben, die digital Erfolg haben und auch neue Formen von Werbung (so genannte »native ads«) ermöglichen.

Diese sechs Einsichten können leicht auf die Schule übertragen werden. Auch hier geht ein Monopol verloren. Inhalte und Umgebungen für Lernprozesse finden sich heute im Netz. Einheiten in hoch stehendem Frontalunterricht (Bsp. Kahn Academy) sind ebenso verfügbar wie ganze Kurse, bei denen die Teilnehmenden auf Materialien von Fachleuten zurückgreifen können, aber auch selbst produktiv werden (Bsp. MOOCs). Wie im Journalismus ist der Kontext der Schule nicht mehr zwingend: Wer Algebra lernen möchte, muss nicht gleichzeitig einen Deutschkurs besuchen, Literatur lesen, Fremdsprachen erwerben und Sport treiben. Auch der Einfluss auf die Aufmerksamkeitsspannen sind beobachtbar: Die Hirne von Schülerinnen und Schüler passend sich an digitale Kontexte an, sie verarbeiten auch schulische Informationen ähnlich wie die im Netz. Das betrifft alle schulischen Aktivitäten, vom Speichern von Informationen über den Leseprozess bis zur sozialen Interaktion.

Digitalisierung hat aber auch gesellschaftliche Auswirkungen, die sich besonders in der Arbeitswelt zeigten. Der Beruf der Journalistin oder des Journalisten ist dafür ein gutes Beispiel: Zu allen Fähigkeiten, die im Beruf schon immer wichtig waren – Wissen strukturieren und vermitteln können, gute Geschichten aufspüren, Menschen zum Sprechen bringen, Debatten führen -, treten nach Auffassung vieler Expertinnen und Experten heute die Kompetenzen, mit Daten und Programmen umgehen zu können. »Datenjournalismus«, wie diese Bewegung heißt, erfordert als Journalistinnen und Journalisten, die zusätzlich Kompetenzen in Statistik und Informatik mitbringen und mit Fachleuten in diesen Bereichen so zusammenarbeiten können, dass sie eine gemeinsame Sprache finden. Projekte, bei denen große Datenmengen so verarbeitet werden, dass sich ein breites Publikum in interaktiven Darstellungen einen Überblick verschaffen können, erfordern eine neue Form von Teamarbeit, weil letztlich im Produkt nicht mehr erkannt werden kann, von wem welcher Teil stammt.

Die drei oben genannten Ziele der gymnasialen Ausbildung – lebenslanges Lernen, gesellschaftliche Verantwortung, Zugang zu neuem Wissen – haben sich durch die Digitalisierung verändert. Das heißt nicht, dass über Jahrhunderte erprobte Lern- und Lehrmethoden komplett obsolet würden, wie das ein naiver Fortschrittsglaube bei jeder Innovation so lange behauptet, bis das Gegenteil belegt ist. Vielmehr bedeutet es, dass neue Möglichkeiten zu bewährten hinzutreten: Und zwar sowohl im Umgang mit Inhalten wie auch in der sozialen Interaktion.

Bezieht man diese Einsicht auf die Kompetenzen, so meint Digitalisierung gerade nicht eine Aufwertung der IKT-Kompetenzen. Sie ersetzen Reflexion, sprachlichen Ausdruck, Sozialverhalten und die Fähigkeit, sich motivieren zu können, keinesfalls – werden aber ähnlich basal. Am Gymnasium gibt es seit Jahren die Tendenz, Informatik als ein Fach zu isolieren, in dem meist Anwendungsübungen durchgeführt werden. Diese Tendenz ist heute ähnlich gefährlich wie die absurde Vorstellung, Reflexionskompetenz oder Sozialverhalten als Fach vermitteln zu wollen. Diese überfachlichen Kompetenzen hebe ich bewusst heraus, weil die für die Digitalisierung nötige Medienkompetenz genau darauf basiert: Sie lässt sich nicht auf die Nutzung und Produktion von Medien reduzieren, sondern muss auch ihre Einflüsse auf die Gesellschaft und Individuen reflektieren.

3. Vom Mensch zur Maschine

Zu den unsichtbaren Folgen der Digitalisierung gehört unsere zunehmende Abhängigkeit von Algorithmen: Ohne Programme fährt heute kein Auto mehr, Kühe werden von Algorithmen gemolken und Informationen gefiltert. Programme fällen zunehmend Entscheidungen für uns: Sei es, was wir zu sehen bekommen, wenn wir bei Google nach bestimmten Begriffen oder Bildern suchen, oder sei es, wie ein Auto optimal einparkiert wird.

Menschen werden sich zunehmend mit Programmen messen und ihre Fähigkeiten maschinell erweitern und verbessern. So sehr vielen an »natürlichen Menschen« gelegen ist: Der soziale Druck, mit dem Technologie zu neuen Normen führt, führt zum sozialen Ausschluss all derer, die sich ihm entgegenstellen. Wer heute ohne E-Mail-Adresse oder Handy leben will, muss gravierende private und berufliche Konsequenzen auf sich nehmen. Und so gibt es keine Postboten mehr, die ihre Pakete nicht mit GPS und schlauen Maschinen verteilen, die ihren Arbeitsalltag vermessen und optimieren und ihnen jede Routenentscheidung abnehmen.

Ihr Beruf ist – wie viele andere auch – durch die Digitalisierung gefährdet. Maschinen werden Menschen viele Aufgaben abnehmen: Meist unangenehme, aber oft auch solche, mit denen heute für viele Menschen ein Einkommen erzielt werden kann.

Welche Jobs werden durch die Digitalisierung wie stark gefährdet? - Quelle

Welche Jobs werden durch die Digitalisierung wie stark gefährdet? – Quelle

Digitalisierung von Arbeit bedeutet aber nicht nur, dass Abläufe automatisiert werden. Plattformen wie Amazons »Mechanical Turk« erlauben es, auf menschliche Intelligenz wie eine Ressource zuzugreifen: Kreative Arbeiten mit Texten und Bildern werden an ein Heer von Menschen vergeben, die zuhause am Computer sitzen und für ein paar Cents Aufgaben erledigen, für die noch vor wenigen Jahren Menschen angestellt wurden. Auch wenn man solche Verfahren nicht völlig pessimistisch beurteilt, so zeigen sie, dass Zusammenarbeit unter Menschen immer stärker auch unter Einbezug von digitalen Werkzeugen möglich ist und erleichtert wird.

Greifen Algorithmen in den Arbeitsprozess ein, so ist das mit einer zunehmenden Standardisierung verbunden, die sich auch in der Bildung bemerkbar macht. In seinem Buch Gadget macht Jaron Lanier eine feinsinnige Anmerkung zum Turing-Test, der besagt, dass Computer dann denken können, wenn Menschen in Chats nicht mehr unterscheiden können, ob sie es mit menschlichen oder algorithmischen Partnern zu tun haben. Der Test, so Lanier, messe zwei Dinge gleichzeitig: Das Verhalten der Chatpartner – aber auch die Anforderung, welche die Versuchsperson an menschliches Verhalten stellt. Diese Anforderungen würden zunehmend sinken, befürchtet Lanier. Wenn z.B. schulische Leistungen nur noch in Bezug auf standardisierte Tests, also Algorithmen, gemessen werden, dann wird menschliches Verhalten bald so beurteilt, wie man die Leistung von Computern einschätzt.

4. Kompetenzen für eine digitalisierte Welt

Aus dieser exemplarischen Veranschaulichung der Konsequenzen der Digitalisierung für die Schule und die Gesellschaft ergibt sich die Forderung, dass junge Menschen lernen müssen, sich in einer Welt zu orientieren, in denen Informationen vermittelt und Arbeit digital durchgeführt werden. Sie müssen Werkzeuge, Maschinen und Programme einsetzen können, aber diesen Einsatz auch reflektieren.

In diesem Zusammenhang spricht man von »digital literacy«, auf Deutsch nur ungenügend mit »Informationskompetenz« übersetzt. Definiert werden kann diese Kompetenz wie folgt:

Die Fähigkeit, digitale Informationen aus verschiedenen Quellen und in verschiedenen Formaten zu verstehen und zu nutzen. Gemeint ist nicht ein einfacher Lesevorgang, vielmehr ist gemeint, die Informationen beim Lesen auf ihren Gehalt und ihre Bedeutung zu prüfen. Dabei wird das Bewusstsein entwickelt, digitale Werkzeuge zielorientiert und reflektiert einzusetzen, neue Medien schaffen zu können, sie aber auch zu evaluieren, analysieren und in ihre Bestandteile zu zerlegen.

Ergänzt werden müsste noch eine soziale Fähigkeit: Beziehungen digital aufzubauen und zu pflegen und sich so ein persönliches Lernnetzwerk anzulegen, das lebenslanges Lernen ermöglicht.

Diese Sammlung an digitalen Kompetenzen kann leicht zerlegt werden:

  1. Visuelle Kommunikation.
  2. Wahre und relevante von falscher und irrelevanter Information trennen.
  3. Die Quellen von Informationen ermitteln können, auch wenn das digital erschwert wird.
  4. Filter einrichten und pflegen.
  5. Jedem Stück Information mit der richtigen Menge an Aufmerksamkeit begegnen und sich nicht ablenken lassen.
  6. Repetitive Arbeitsschritte mithilfe von Programmen abkürzen.
  7. Verstehen, wie Algorithmen und Suchmaschinen funktionieren und wo ihre Schwächen liegen.
  8. Über die eigene Filter-Bubble nachdenken.
  9. Über Einfluss in sozialen Netzwerken nachdenken.
  10. Reflektieren, dass digitale Kommunikation Menschen ausgrenzen kann.

Diese unvollständige Sammlung hat jeweils einen aktiven und einen passiven Teil: Genau so wichtig wie die Rezeption von digitalen Inhalten ist ihre Produktion.

5. Fazit

Nehmen die Schweizer Gymnasien ihren Auftrag ernst, kommen sie gar nicht darum herum, digitale Medien in den Unterricht einzubeziehen. Mündige Mitglieder der Gesellschaft, die in einer Wissens- und Informationsgesellschaft verantwortlich handeln können und sich selbst motivieren, kommen im 21. Jahrhundert ohne digitale Kompetenzen nicht mehr aus. Dabei geht es um viel mehr, als ICT projektweise einzubeziehen und lustige Filmli zu drehen oder ein Dokument kollaborativ zu bearbeiten: Auf dem Spiel steht letztlich das Verständnis für das Funktionieren der Wissensverbreitung und der Gestaltung von Arbeitsplätzen.

 

 



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