Gestern war ich am 2. Fachforum Jugendmedienschutz in Bern und habe im Rahmen eines Workshops einen Vortrag gehalten (Präsentation). Mit sechs Thesen zum »Jugendmedienschutz« möchte ich meine Eindrücke zusammenfassen.
Im einleitenden Referat hat Uwe Hasebrink dargelegt, was unter Jugendmedienschutz zu verstehen ist: Ein Prozess, in dem Maßnahmen entstehen, die ein Problem lösen sollen und dabei einer Bewertung unterzogen werden.
![Bildschirmfoto 2013-03-08 um 15.10.57](http://schulesocialmedia.files.wordpress.com/2013/03/bildschirmfoto-2013-03-08-um-15-10-57.png?w=502&h=122)
Entscheidend ist dabei, dass viele Faktoren von Haltungen, Ideologien und Wahrnehmungen abhängen: Problem, Zielsetzung und ihre Bewertung sind alle nicht objektiv erfassbar.
(1) Daten helfen nicht weiter
Sonja Perren hat in ihrem Referat zu Cybermobbing eine Fülle an neuesten Daten präsentiert. So wissen wir z.B., dass traditionelles Mobbing in der Schweiz rund drei Mal häufiger vorkommt als Cybermobbing.
![Praevalenz Mobbing](http://schulesocialmedia.files.wordpress.com/2013/03/praevalenz-mobbing.png?w=502&h=285)
Entscheidend, so Perren, seien für Betroffene öffentliche und anonyme Attacken – daraus entstünden die als besonders gravierend wahrgenommenen Fälle. Es gäbe aber keine Maßnahmen, die mit Sicherheit gegen Cybermobbing wirkten – außer der klassischen Mobbingprävention.
Im Jugendmedienschutz werden ständig Befragungen durchgeführt und Daten erhoben. Ich bezweifle, dass die anstehenden Probleme so gelöst werden können. Qualitative Ansätze, als beispielsweise Gespräche mit Jugendlichen und ihren Begleitpersonen über ihre Erfahrungen und Wahrnehmungen, scheinen mir hier viel versprechender. Ich habe während der ganzen Tagung keine Daten oder Statistiken kennen gelernt, die mich irgendwie erstaunt hätten oder aus denen ich etwas gelernt hätte.
(2) Erfahrungen sammeln hilft weiter
Die Tagung begann mit Feststellungen prominenter Persönlichkeiten, sie seien selbst nicht auf Facebook aktiv. Mehrmals wurde auch gesagt, Lehrpersonen müssten nicht auf sozialen Netzwerken aktiv sein, um Jugendliche medienpädagogisch begleiten zu können. Das stimmt grundsätzlich.
Aber: Wer ohne digitale Medien aufgewachsen ist, hat von einigen Prozessen, die darin Ablaufen, zu wenig Ahnung, um ein offenes, sinnvolles Gespräch führen zu können. Sowohl die Risiken wie auch die Chancen können falsch eingeschätzt werden.
Ein Beispiel: Während der Tagung wurde Twitter als Backchannel und als Forum beworben. Ich war dabei sehr aktiv – meine Tweets sind für mich eine Zusammenfassung des Gehörten, an der ich mich auch beim Schreiben dieser Zusammenfassung orientiere; sie können hier nachgelesen werden (Tweetwally ist ein nettes Tool). Die Anzahl der Teilnehmenden, die auf Twitter während der Veranstaltung aktiv war, ist wahrscheinlich knapp zweistellig – und wir sprechen von der nationalen Elite in Bezug auf medienpädagogische Fragen. Es müssen von allen Beteiligten mehr Erfahrungen gesammelt werden. Reflexion setzt bei der Praxis an.
(3) Medienpädagogik hat sehr viele verschiedene Stakeholder
An einer Tagung spricht man mit vielen netten Leuten, erweitert und verstärkt sein Netzwerk. Auffällig war, wie viele Akteure in der Schweiz mit Medienjugendschutz zu tun haben:
- Eltern
- Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
- Ausbildende von Lehrpersonen
- Politikerinnen und Politiker
- Medienunternehmen wie die Swisscom
- Verwaltungen (der Bund, die Kantone)
- Schulleitungen
- Lehrpersonen
- Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter
- die Polizei
- verschiedene Verbände und Vereine
Diese Stakeholder arbeiten teilweise zusammen, ihre Angebote ergänzen sich. Sie konkurrenzieren sich aber teilweise auch, haben komplett unterschiedliche Ziele und Interessen oder wissen schlicht nichts voneinander. Im Schlusspanel wurde die Frage diskutiert, wo der Ort für Medienbildung sei. Das ist offenbar noch nicht geklärt – Beat Zemp hat klar gemacht, der Ort sei die Schule. Hier braucht es viel Austausch, viele Netzwerke und viele Abgrenzungen. Es geht auch um Ressourcen, zeitliche, personelle, finanzielle.
(4) Orientierung fällt schwer
Was ist denn eigentlich das Ziel von Medienpädagogik? Sollen Störungen und Gefährdungen eliminiert werden, damit so weitergemacht werden kann, wie bis anhin? Soll Technik produktiv genutzt werden? Arbeiten wir an einer neuen Gesellschaftsordnung oder einer neuen Vorstellung von Bildung? Versuchen wir, Mittel einzusparen, um effizienter zu werden? Medienpädagogische Orientierungslosigkeit ist kein isoliertes Phänomen – sie betrifft viele pädagogische Fragestellungen, aber auch viele gesellschaftliche.
(5) Medienpädagogik ist Schulentwicklung und ein Führungsproblem
In meinem Referat habe ich davon gesprochen, wie man an einer Schule den Gebrauch mobiler Kommunikationsmittel reglementieren könnte. Dabei wurde in der Diskussion klar, dass jedes Reglement von den Lehrpersonen akzeptiert und gelebt werden muss. Lehrpersonen leben aber ihr Leben sehr individuell und sie mögen es nicht, zu etwas gezwungen zu werden (mit anderen Worten: sie sind Menschen). Also braucht es eine gemeinsame Entwicklung von Zielen, Vorstellungen und eine Führung, die diesen Prozess begleitet – weil die Zeile von Reglementen ja vielfältig sind: Sie sollen Möglichkeiten schaffen, aber Probleme auch beseitigen.
(6) Die Zeit technischer Neuerungen ist vorbei
Natürlich kann man das Mantra aufsagen, die Technik werde sich ständig weiterentwickeln und wir wüssten nicht, was in fünf Jahren passiere. Das wusste man natürlich noch nie. Aber Medienjugendschutz und -pädagogik täten gut daran, anzunehmen, dass wir einigermaßen wissen, wie digitale Medien funktionieren. Das Internet wird es weiterhin geben, wir werden noch mobiler kommunizieren. Der ökonomische und soziale Rahmen ist abschätzbar, die Herausforderungen sind benennbar. Abwarten gilt als Parole nicht. Eher: Nachdenken. Ausprobieren. Miteinander reden. Mehr nachdenken.
![d7a81cf84cf545f682178158d08a7b72](http://schulesocialmedia.files.wordpress.com/2013/03/d7a81cf84cf545f682178158d08a7b72.gif?w=298&h=502)
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